Tageslosung
Die Herrnhuter Tageslosung
Hausgottesdienst vom 5. April 2020
von Pfarrer Jochen-M. Spengler

Wir feiern unseren Hausgottesdienst:

Im Namen Gottes, der Quelle unseres Lebens, die uns gibt, was wir zum Leben brauchen.
Im Namen Jesu Christi, unseres Freundes und Bruders, der an unserer Seite ist auf unserem Weg durch gute und durch schwere Tage -
und im Namen des heiligen Geistes, einer Kraft, die uns in Gemeinschaft fest zu-sammenhält - auch jetzt in dieser Zeit, in der wir räumlichen Abstand voneinander halten müssen.
Amen.
Wir lesen Verse aus Psalm 121 (vielleicht im Wechsel gelesen):

Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen.
Woher kommt mir Hilfe?

Meine Hilfe kommt vom Herrn,
der Himmel und Erde gemacht hat.

Er wird deinen Fuß nicht gleiten lassen,
und der dich behütet, schläft nicht.
Siehe, der Hüter Israels schläft und schlummert nicht.

Der Herr behütet dich;
der Herr ist dein Schatten über deiner rechten Hand,

dass dich des Tages die Sonne nicht steche
noch der Mond des Nachts.

Der Herr behüte dich vor allem Übel,
er behüte deine Seele.

Der Herr behüte deinen Ausgang und Eingang
von nun an bis in Ewigkeit!
Lasst uns beten!

Gott,
heute ist Palmsonntag, ein Tag, an dem christliche Gemeinden in Gottesdiensten normalerweise an den Einzug Jesu in Jerusalem denken.
Und Kinder malen in Kindergottesdiensten Bilder, auf denen Menschen zu sehen sind, die Palmzweige schwenken und Jesus zujubeln.
Der sitzt auf einem Esel und weiß, dass diese Menschen, die heute „Hosianna“ rufen in ein paar Tagen „kreuzige ihn“ schreien werden.
Ein zwiespältiger Tag.
Gott, bei uns ist in diesen Tagen vieles nicht mehr normal und so, wie wir es ge-wöhnt sind: Kindergärten und Schulen sind geschlossen, viele Menschen arbeiten von zu Hause aus - oder haben ihre Arbeit verloren, weil Firmen schließen mussten.
Manche von uns sind durch die Ausgangs- und Besuchsbeschränkungen ziemlich einsam geworden - und Tage werden lang und bedrückend.
Uns allen gemeinsam ist die Sorge, wie wir diese schwere Zeit überstehen werden und wie unser Leben danach aussehen wird. -
Gott wir danken dir für alles Gute, was wir in diesen Tagen erleben: Für die große Hilfsbereitschaft unter uns Menschen, für die neuen Erfahrungen, die uns diese Krise schenkt - und, ganz nebenbei, auch für den Sonnenschein, der in unsere dunklen Tage hell und freundlich hineinscheint! -
Gott, wir bitten dich:
Hilf uns dabei, jeden Tag aus deiner Hand zu nehmen, wie er jetzt nun einmal ist.
Lass uns tapfer und geduldig bleiben - und schenk‘ uns so viel Gemütsruhe wie nur irgend möglich.
Gott, auf dich vertrauen wir.
Du bist unser Gott - unser Los liegt in deinen Händen.
Amen.


Ansprache: Die Macht der Zahlen ...
von Jochen-M. Spengler
Text zur Ansprache zum Mit-/Nachlesen:

Zahlen, liebe Gemeinde, haben in diesen Tagen und Wochen eine große Macht - zumindest über mich.
Sie entscheiden, ob meine Seele für Augenblicke voller Hoffnung ist - oder ängstlich den Kopf einzieht, um einem Schlag auszuweichen, mit dem eine einzige Zahl meine Hoffnung unbarmherzig zerschlagen könnte.
Mein Verstand versucht dabei so ruhig und besonnen wie möglich zu sein, manchmal gelingt ihm das - aber immer wieder auch nicht. Denn wirklich verstehen kann er die Zahlen, die unsere Gegenwart bestimmen, nicht:
Über achthundert Tote an einem Tag hier, siebzehn Tote in einem Seniorenheim da, tausende von Neuinfektionen wo auch immer - ja, eigentlich überall - und Prognosen, die hunderttausende von Opfern vorhersagen.
Daneben muss ich Zahlen verarbeiten, die mich in ihren Größenordnungen überfordern, und deren Auswirkungen ich kaum einschätzen kann: fünfhundert Milliarden Wirtschaftshilfe, andernorts bis zu zwei Billionen - wieviel Geld ist das, frage ich mich, und muss lange überlegen, wieviel Nullen man braucht, um eine Billion darzustellen: es sind wahrscheinlich zwölf.
Wie sollen solche Kredite je zurückgezahlt werden?
Mich jedenfalls hat es Jahre und viel Mühe gekostet, den größten Kredit meines Lebens abzustottern, das waren 10.000 DM für das Auto, das ich mir zu Beginn meiner Berufstätigkeit gekauft habe.
Milliarden und Billionen: Das ist Wahnsinn - und zu viel für meinen Verstand. -
Natürlich horcht alles in mir auf, wenn eine Zahl Gutes verkündet: rund zweihunderttausend Genesene weltweit, heißt es!
Wie schön, denke ich, und sehe Menschen, die den Schrecken hinter sich haben und nun andern ohne Einschränkungen helfen können. Und dann sehe ich wieder die Gesichter verzweifelter Angehöriger, die vor der Türe eines Seniorenzentrums stehen und Abschied nehmen möchten von Mutter oder Vater - und nicht hineindürfen. Und schon erlischt das Licht der Zahl wieder, die mir von Heilung erzählt! -
Ich weiß nicht, liebe Gemeinde, ob es Ihnen mit den Zahlen und ihrer Macht in dieser schlimmen Coronakrise ähnlich ergeht wie mir - vielleicht können Sie sich ein bisschen besser distanzieren von der Arithmetik des Unheils und des Heils!
Mir fällt das schwer: Zu groß sind die Sorgen um meine Eltern, die in ihrem Seniorenheim eingesperrt sind, um Geschwister, Nichten und Neffen, die im Gesundheitswesen arbeiten oder zu denen gehören, die man zu Risikogruppen zählt.
Und natürlich habe ich auch Angst um meine Frau und mich, auch wenn die eigentlich ganz unwirklich ist:
Irgendwie kommt es mir vor wie ein Lottospiel, bei dem ich zaghaft hoffe, dass unsere Zahlen gerade nicht gezogen werden! -
„Fürchte dich nicht!“ höre und lese ich in diesen Tagen nicht selten, liebe Gemeinde, oder auch: „Bleib‘ behütet und bewahrt!“ - oder auch einfach nur: „Bleib‘ gesund!“
Solche Wünsche tun mir gut, denn ich spüre die große Solidarität, ja, Liebe!, mit der wir Menschen hier bei uns und überall verbunden sind.
Ja, das verdammte Coronavirus hat es doch tatsächlich geschafft, denke ich mir manchmal, uns an den Wert von Nächstenliebe zu erinnern - Liebe, die generationenüberschreitend aufblüht, wenn junge Menschen z.B. bei Tafeln mitarbeiten und dafür sorgen, dass Notleidende mit Lebensmitteln versorgt werden und Liebe, die nicht einmal vor Staatsgrenzen haltmacht, wenn Schwerstkranke in Kliniken des Nachbarlandes gebracht werden, um dort bestmöglich versorgt zu werden.
Es gibt wirklich vieles, das mir das Herz wärmt in diesen Tagen, liebe Gemeinde, und immer wieder muss ich mich ermahnen, dass ich doch vor allem auf die Liebe schauen sollte, die sich entfaltet - und weniger auf die Bilanzen des Leids, die mich mehr und mehr erdrücken. -
Wenn ich ganz ehrlich sein soll, liebe Gemeinde, so muss ich Ihnen gestehen, dass mir der gutgemeinte Zuruf „Fürchte dich nicht!“ oder der fromme Wunsch „Bleib‘ gesund“ in dieser Krise in der Tiefe meiner Seele nur wenig weiterhelfen.
Denn ich fürchte mich nun einmal - und ob ich gesund bleibe, das werden wir sehen.
Ein Gedanke aber, der sich vor ein paar Tagen ganz plötzlich und unerwartet in meiner Seele gemeldet hat und sich seitdem breit und immer breiter gemacht hat, hält seitdem tatsächlich schützend und segnend seine Hand über mich.
Und dieser Gedanke heißt:
Für Gott gibt es keine tausend, keine siebzehn, keine hunderttausend - und auch keine Milliarden und Billionen.
Für Gott gibt es nur die Zahl Eins: Ein Mensch, ein Schicksal, ein Glück, ein Leid - ein geliebtes Geschöpf: eins!

Und um dieses geliebte Geschöpf und Kind kümmert sich Gott mit Engelsgeduld, geht mit ihm durch dunkle Täler und findet zurück zu strahlenden Auen: manche sind hier auf Erden und manche sind im Himmel, wo Viren keinen Schaden mehr anrichten- und das Glück der Ewigkeit stören können.

Liebe Gemeinde,
Gott hat in dieser Krise, in der die großen Zahlen regieren jeden Einzelnen und jede Einzelne aufmerksam im Blick:
„Gott, der Herr hat sie gezählet, dass ihm auch nicht eines fehlet - an der ganzen großen Zahl, an der ganzen großen Zahl.“
Jede und jeder von uns ist Gott so wichtig, so wertvoll und so liebenswert, dass er sie immer heraushalten kann aus einer großen Zahl.
Für Gott gibt es keine achthundert Tote: Für Gott gibt es einen geliebten Menschen, dem er seine Hand hinstreckt und ihn zu sich in den Himmel zieht, wenn er hier auf der Erde keine Chance mehr hat. Und dann gibt es einen nächsten, einmaligen und geliebten Menschen, den er erlöst, sterben und auferstehen lässt - und so weiter.
Einzelschicksale zu einer Summe zusammenrechnen, das müssen Epidemiologen derzeit gezwungenermaßen, um ihre Strategien zu begründen und weiterzuentwi-ckeln.
Der Gott, der „im Leben und im Sterben mein Trost ist“, wie es im sog. Heidelberger Katechismus heißt und der Gott, der mir in dieser Zeit als treuer Freund zur Seite steht und Anspannung und Sorgen mit mir teilt, dieser Gott ist - um in der Fachsprache zu bleiben - ein Meister der Einzelfallbetrachtung: Ihm geht es um dich und um mich, um sie und um ihn - je einzeln und mit voller Aufmerksamkeit und mit großer Liebe. Und so, liebe Gemeinde, tröstet mich die Zahl „Eins“ über all die großen und bedrückenden Zahlen manchmal erfolgreich hinweg.
Und ein Lied, das mich an unbeschwerte Tage meiner Kindheit erinnert, streichelt meine Seele und singt mit mir:
„Weißt du, wie viel Sternlein stehen an dem blauen Himmelszelt?
Weißt du wieviel Wolken gehen weithin über alle Welt?
Gott der Herr hat sie gezählet, dass ihm auch nicht eines fehlet an der ganzen gro-ßen Zahl, an der ganzen großen Zahl.
Kennt auch dich und hat dich lieb, kennt auch dich und hat dich lieb.“
Amen.
1. Weißt du, wie viel Sternlein stehen an dem blauen Himmelszelt?
Weißt du, wie viel Wolken gehen weithin über alle Welt?
Gott der Herr hat sie gezählet, dass ihm auch nicht eines fehlet
an der ganzen großen Zahl, an der ganzen großen Zahl.

2. Weißt du, wie viel Mücklein spielen in der heißen Sonnenglut,
wie viel Fischlein auch sich kühlen in der hellen Wasserflut?
Gott der Herr rief sie mit Namen, dass sie all ins Leben kamen,
dass sie nun so fröhlich sind, dass sie nun so fröhlich sind.

3. Weißt du, wie viel Kinder frühe stehn aus ihrem Bettlein auf,
dass sie ohne Sorg und Mühe fröhlich sind im Tageslauf?
Gott im Himmel hat an allen seine Lust, sein Wohlgefallen;
kennt auch dich und hat dich lieb, kennt auch dich und hat dich lieb.
Lasst uns beten!
Gott,
wir danken dir dafür, dass du uns nicht alleine lässt in diesen Tagen und Wochen!
Du bist bei uns als Freund und Bruder auf unserem Weg durch unsere gegenwärtige Wirklichkeit, die so unwirklich ist.
Und dein Geist blüht unter uns auf und lässt Liebe wachsen:
wenn wir mit anderen unsere Einsamkeit teilen, telefonieren und mailen - und ein Tag nicht mehr dunkel ist;
wenn junge Menschen älteren helfen, Besorgungen machen und ein Licht vorbei-bringen in diesen Tagen;
wenn Pflegerinnen, Ärzte, Hilfskräfte - Verkäuferinnen, Busfahrer, Taxifahrer - Politi-kerinnen und Politiker und viele, viele andere bis zur Erschöpfung im Dienst für ande-re, für uns, alles geben und ihre Herzen verschenken;
wenn Grenzen ihre Bedeutung verlieren: zwischen Generationen, Parteien, Staaten - weil alle in der Not zusammenrücken.
Gott,
jeder und jede einzelne von uns hast du in diesen Tagen aufmerksam und liebevoll im Blick - keiner und keine ist für dich nur eine Zahl in einer Statistik.
Wir vertrauen auf dich, deine Liebe und Nähe! -
Gott, in unserem stillen Gebet denken wir an all die Opfer der Coronakrise, hier und überall auf der Welt.
Nimm du sie in deine Hände und schenke ihnen alles Glück der Ewigkeit!
Tröste die Trauernden - und lass uns mit ihnen das Leid teilen, wo immer uns das möglich ist
Wir beten in der Stille
Vater unser im Himmel, geheiligt werde Dein Name.
Dein Reich komme. Dein Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden.
Unser tägliches Brot gib uns heute.
Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.
Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen.
Denn Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit.
Amen.
EG Lied 171 Text: Eugen Eckert (1985) 1987 Melodie: Anders Ruuth (um 1968) 1984 "La paz del señor"
1. Bewahre uns, Gott, behüte uns, Gott, / sei mit uns auf unsern Wegen. / Sei Quelle und Brot in Wüstennot, / sei um uns mit deinem Segen, / sei Quelle und Brot in Wüstennot, / sei um uns mit deinem Segen.
2. Bewahre uns, Gott, behüte uns, Gott, / sei mit uns in allem Leiden. / Voll Wärme und Licht im Angesicht, / sei nahe in schweren Zeiten, / voll Wärme und Licht im Angesicht, / sei nahe in schweren Zeiten.
3. Bewahre uns, Gott, behüte uns, Gott, / sei mit uns vor allem Bösen. / Sei Hilfe, sei Kraft, die Frieden schafft, / sei in uns, uns zu erlösen, / sei Hilfe, sei Kraft, die Frieden schafft, / sei in uns, uns zu erlösen.
4. Bewahre uns, Gott, behüte uns, Gott, / sei mit uns durch deinen Segen. / Dein Heiliger Geist, der Leben verheißt, / sei um uns auf unsern Wegen, / dein Heiliger Geist, der Leben verheißt, / sei um uns auf unsern Wegen.
Wir bitten um Gottes Segen!
Gott segne uns und behüte uns;
Gott lasse sein Angesicht leuchten über uns
und sei uns gnädig;
Gott erhebe sein Angesicht auf uns
und gebe uns Frieden. Amen.