Tageslosung
Die Herrnhuter Tageslosung
Hausgottesdienst am 3. Sonntag nach Ostern, den 25.04.2021

von Pfarrer Jochen-M. Spengler
Du meine Seele singe (EG 302,1-5+8) Große Kreuzgemeinde Hermannsburg
Wochenspruch: 2. Korinther 5,17
Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur;
Das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden.

Begrüßung zum Mithören
Liebe Gemeinde,
ich begrüße Sie herzlich zu unserem heutigen Hausgottesdienst!
Ich wünsche Ihnen einen Sonntag, der Ihnen gut tut:
Der Ihrer Seele eine Pause schenkt vom Alltag, der manchmal anstrengend ist (gerade in diesen Zeiten), der Sie ein bisschen trösten kann, wenn Sie traurig sind - und der Sie für einige Stunden aus zu gründlicher Nachdenklichkeit befreit, falls Sie auch zu den Grüblerinnen und Grüblern gehören, zu denen ich mich leider rechnen muss.
Und ein Sonntag, der Sie so fröhlich macht, wie es irgend geht! -
Als Ansprache über den Predigttext für den heutigen Sonntag habe ich Ihnen eine Phantasiegeschichte eingelesen, die ich zu der sog. Areopagrede des Apostels Paulus zu Papier gebracht habe. Es geht um einen Hauskreis, der sich zum einen mit diesem Bibeltext beschäftigt - und zum anderen Bekenntnisse formuliert, warum es sich lohnt, an Gott zu glauben.
Ich würde mich freuen, wenn ich Ihr Interesse für das Thema wecken kann - und im günstigsten Fall auch Ihre Herzen an der einen oder anderen Stelle berühre.

Ihr Jochen-M. Spengler
Wir feiern unseren Hausgottesdienst:
Im Namen Gottes, der Quelle unseres Lebens, die uns gibt, was wir zum Leben brauchen.
Im Namen Jesu Christi, unserem Freund und Bruder, durch den uns Gott etwas von seinem Wesen und seiner Liebe zu uns Menschen gezeigt hat.
Und im Namen des heiligen Geistes, einer Kraft, die uns in Gemeinschaft zusammenhält und an schönen Tagen so richtig glücklich macht - und an traurigen Tagen die Zuversicht nicht verlieren lässt. Amen.

Wir lesen Verse aus Psalm 66:
Jauchzet Gott alle Lande!
Lobsinget zur Ehre seines Namens; rühmet ihn herrlich!
Sprecht zu Gott: Wie wunderbar sind deine Werke!
Deine Feinde müssen sich beugen vor deiner großen Macht.
Alles Land bete dich an und lobsinge deinem Namen. Sela.
Kommt her und sehet an die Werke Gottes,
der so wunderbar ist in seinem Tun an den Menschenkindern.
Er verwandelt das Meer in trockenes Land, sie konnten zu Fuß durch den Strom gehen. Darum freuen wir uns seiner.
Er herrscht mit Gewalt ewiglich, seine Augen schauen auf die Völker. Die Abtrünnigen können sich nicht erheben. Sela.
Lobet, ihr Völker, unsern Gott, lasst seinen Ruhm weit erschallen,
der unsere Seelen am Leben erhält und lässt unsere Füße nicht gleiten.
Lasst uns beten!
Gott,
mit allem, was uns bewegt, was uns das Herz leicht oder schwer macht, kommen wir jetzt zu dir.
Lass uns bitte spüren, wie nah du in diesem Hausgottesdienst bei uns bist.
Öffne unsere Herzen für deine Gedanken, deinen Rat und deinen Trost.
Und gib uns so viel Kraft von dir ab, wie wir brauchen, um in diesen Tagen mit unserem Leben so gut wie möglich zurecht kommen zu können.
Das alles bitten wir dich durch Jesus Christus, unseren Freund und Bruder - und danken dir für deine Liebe, Gott, von Herzen. Amen.
Schriftlesung aus dem Neuen Testament: Johannes 15,1-17
gelesen von Frauke Grundmann-Kleiner
Ich bin der wahre Weinstock und mein Vater der Weingärtner.
Eine jede Rebe an mir, die keine Frucht bringt, nimmt er weg; und eine jede, die Frucht bringt, reinigt er, dass sie mehr Frucht bringe.
Ihr seid schon rein um des Wortes willen, das ich zu euch geredet habe.
Bleibt in mir und ich in euch. Wie die Rebe keine Frucht bringen kann aus sich selbst, wenn sie nicht am Weinstock bleibt, so auch ihr nicht, wenn ihr nicht an mir bleibt.
Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht; denn ohne mich könnt ihr nichts tun.
Wer nicht in mir bleibt, der wird weggeworfen wie eine Rebe und verdorrt, und man sammelt die Reben und wirft sie ins Feuer, und sie verbrennen.
Wenn ihr in mir bleibt und meine Worte in euch bleiben, werdet ihr bitten, was ihr wollt, und es wird euch widerfahren.
Darin wird mein Vater verherrlicht, dass ihr viel Frucht bringt und werdet meine Jünger.
Wie mich mein Vater liebt, so liebe ich euch auch. Bleibt in meiner Liebe!
Wenn ihr meine Gebote haltet, bleibt ihr in meiner Liebe, so wie ich meines Vaters Gebote gehalten habe und bleibe in seiner Liebe.
Das habe ich euch gesagt, auf dass meine Freude in euch sei und eure Freude vollkommen werde.
Das ist mein Gebot, dass ihr einander liebt, wie ich euch liebe.
Niemand hat größere Liebe als die, dass er sein Leben lässt für seine Freunde.
Ihr seid meine Freunde, wenn ihr tut, was ich euch gebiete.
Ich nenne euch hinfort nicht Knechte; denn der Knecht weiß nicht, was sein Herr tut. Euch aber habe ich Freunde genannt; denn alles, was ich von meinem Vater gehört habe, habe ich euch kundgetan.
Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt und bestimmt, dass ihr hingeht und Frucht bringt und eure Frucht bleibt, auf dass, worum ihr den Vater bittet in meinem Namen, er's euch gebe.
Das gebiete ich euch, dass ihr euch untereinander liebt.
Musikstück: Claude Debussy - Clair de Lune - Jacob's Piano
Predigt zum Mithören
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen.

„Gott ist die Liebe; und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm - oder in ihr. Guten Abend, Frau Münch!“
„Hallo, Pia. Du bist aber früh dran. Ich bin noch gar nicht ganz fertig mit den Vorbereitungen, Du kannst mir ja noch ein bisschen helfen. Schön, dass Du da bist. -
Übrigens: Der Bibelvers, den Du da eben zitiert hast, der gehört doch gar nicht zu dem Text, den wir heute Abend besprechen werden. Oder habe ich den vielleicht übersehen?“
„Nein, nein.“ Pia setzt sich auf die Treppenstufen vor der Haustüre und zieht ihre Inlineskates aus und die mitgebrachten Sportschuhe an.
„Das mit Gott und der Liebe geht mir schon den ganzen Nachmittag durch den Kopf. Vielleicht liegt’s an dem schönen Frühlingswetterwetter, das wir jetzt endlich haben!“
Als sie die Schuhe endlich anhat, gehen die beiden in den kleinen aber feinen Bungalow hinein. In der Küche angekommen, hilft Pia Frau Münch dabei, Gläser, Getränke und ein paar Schälchen mit Oliven, Pistazien und gerösteten Erdnüssen auf ein Tablett zu stellen. Dann werden die Sachen ins Wohnzimmer getragen und auf dem Tisch verteilt. -
Liebe Gemeinde, wir sind heute, in dieser Predigt, wieder einmal zu Gast bei einem christlichen Hauskreis, der sich dieses Mal, das haben Sie ja schon mitbekommen, bei Frau Münch trifft. Dieses Hauskreistreffen hat eindeutig vor Ausbruch der Coronapandemie stattgefunden - oder es wird nach Ende der Coronazeit stattfinden. Wer weiß!
Im Mittelpunkt des Abends jedenfalls wird ein Bibeltext stehen, den Experten Areopagrede nennen. Was das bedeutet und um was es in diesem Text geht, werden wir später aus dem Gespräch der Hauskreisler erfahren. Zunächst möchte ich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer dieses Kreises kurz vorstellen.
Gastgeberin ist Frau Münch. Sie ist Anfang Fünfzig, geschieden, arbeitet als Bibliothekarin in der Stadtbibliothek. Frau Münch mag Rosen sehr, ist eine große Musikliebhaberin und spielt selber Querflöte. -
Pia ist Schülerin und geht in die zwölfte Klasse. Nächstes Jahr macht sie Abitur. Danach möchte sie Grafik und Design studieren oder eine Kfz-Lehre machen - oder Theologie studieren. So genau weiß sie das noch nicht!
Außerdem werden heute Abend erwartet:
Ehepaar Nolting, beide sind Anfang vierzig, berufstätig und haben einen 15-jährigen Sohn, der ihnen zurzeit mancherlei Kopfzerbrechen bereitet. Zum Glück verfügen sie über ein gehöriges Maß an Humor, sie lachen einfach gerne, und das hilft dabei, die eine oder andere aktuelle familiäre Anspannung zu lösen. Frau Nolting ist, nebenbei bemerkt, ziemlich bibelfest: Sie ist in einer streng methodistischen Familie aufgewachsen, in der tägliches gemeinsames Bibellesen obligatorischer Bestandteil des Familienlebens war.
Herr Sander wird kommen. Von ihm wissen die anderen Mitglieder des Hauskreises noch nicht sehr viel. Er ist neu hier und hat erst vor kurzem ein Zwei-Zimmer-Apartment in der Seniorenwohnanlage bezogen. Er hat kurz nach seinem Zuzug Kontakt zur Kirchengemeinde aufgenommen und ist auf diesem Weg in dem Hauskreis gelandet. Früher, in seinem Berufsleben, war er Maschinenbauer.
Und dann ist da noch Herr Behrens, 38 Jahre alt, Pharmareferent und ehemaliger Mitarbeiter des Kindergottesdienstteams. Er ist unverheiratet, hat gelegentlich ‘mal eine Freundin - und kommt fast immer zu spät. Eine Schwäche, die, das ist nicht wegzudiskutieren, zweifelsohne auch sein berufliches Vorankommen behindert.
Es ist fast überflüssig zu sagen, dass jetzt, wo alle anderen bereits um den Wohnzimmertisch versammelt sind, sein Platz noch leer ist.
„Er wird bestimmt noch eintrudeln“, stichelt in diesem Augenblick Frau Nolting, „aber ich schlage vor, wir fangen schon einmal an.“
Sie blickt zu Frau Münch - und die weiß, was das bedeutet, und sie eröffnet als Gastgeberin mit der traditionellen Formel den offiziellen Teil des Hauskreisabends:
„Liebe Schwestern und Brüder, ich freue mich, dass Ihr gekommen seid.
Ich hoffe, dass wir ein gutes Gespräch haben werden und zu neuen Einsichten gelangen. Gott sei jetzt bei uns und gebe uns seinen Geist! -
Der Text, mit dem wir es heute Abend zu tun haben werden, steht in der Apostelgeschichte im 17. Kapitel, die Verse 22-34.
Hat jeder und jede den Text zu Hause gelesen?“
Alle nicken - und das gibt es selten, denn meistens ist dieser oder jene nicht dazu gekommen und muss das ein wenig verschämt zugeben. Heute aber sind alle gut vorbereitet.
„Na, wer möchte lesen?“
Herr Sander nimmt all seinen Mut zusammen und sagt, dass er das heute übernehmen wolle - er war bisher noch nie mit dem Lesen dran!

Apostelgeschichte 17, 22-34
Paulus aber stand mitten auf dem Areopag und sprach: Ihr Männer von Athen, ich sehe, dass ihr die Götter in allen Stücken sehr verehrt.
Ich bin umhergegangen und habe eure Heiligtümer angesehen und fand einen Altar, auf dem stand geschrieben: Dem unbekannten Gott. Nun verkündige ich euch, was ihr unwissend verehrt.
Gott, der die Welt gemacht hat und alles, was darin ist, er, der Herr des Himmels und der Erde, wohnt nicht in Tempeln, die mit Händen gemacht sind.
Auch lässt er sich nicht von Menschenhänden dienen, wie einer, der etwas nötig hätte, da er doch selber jedermann Leben und Odem und alles gibt.
Und er hat aus einem Menschen das ganze Menschengeschlecht gemacht, damit sie auf dem ganzen Erdboden wohnen, und er hat festgesetzt, wie lange sie bestehen und in welchen Grenzen sie wohnen sollen,
damit sie Gott suchen sollen, ob sie ihn wohl fühlen und finden könnten; und fürwahr, er ist nicht ferne von einem jeden unter uns.
Denn in ihm leben, weben und sind wir; wie auch einige Dichter bei euch gesagt haben: Wir sind seines Geschlechts.
Da wir nun göttlichen Geschlechts sind, sollen wir nicht meinen, die Gottheit sei gleich den goldenen, silbernen und steinernen Bildern, durch menschliche Kunst und Gedanken gemacht.
Zwar hat Gott über die Zeit der Unwissenheit hinweggesehen; nun aber gebietet er den Menschen, dass alle an allen Enden Buße tun.
Denn er hat einen Tag festgesetzt, an dem er den Erdkreis richten will mit Gerechtigkeit durch einen Mann, den er dazu bestimmt hat, und hat jedermann den Glauben angeboten, indem er ihn von den Toten auferweckt hat.
Als sie von der Auferstehung der Toten hörten, begannen die einen zu spotten; die andern aber sprachen: Wir wollen dich darüber ein andermal weiter hören.
So ging Paulus von ihnen.
Einige Männer schlossen sich ihm an und wurden gläubig; unter ihnen war auch Dionysius, einer aus dem Rat, und eine Frau mit Namen Damaris und andere mit ihnen. -

Wie immer ist es nach der Schriftlesung erst einmal einen Augenblick lang still.
Dann eröffnet Frau Münch das Gespräch:
„Na, was meinen Sie zu diesem Text?“
Alle überlegen angestrengt.
Herr Nolting kann sich als erster zu einer Stellungnahme durchringen:
„Also besonders erbaulich finde ich diesen Text nicht. Klingt alles ziemlich kühl und sachlich. Es wundert mich fast, dass wohl dennoch einige aufgrund dieser Rede gläubig geworden sind. Also mich hätte das nicht überzeugt.“
„Du bist ja auch kein Athener“, schmunzelt seine Frau, „auch wenn Du gern griechisch essen gehst. Ich habe mich ’mal ein bisschen kundig gemacht, was hinter diesem Text steht. Wenn es Sie und Euch interessiert, kann ich’s jetzt einmal erzählen.“
Alle nicken, also beginnt sie:
„Was wir eben gehört haben, ist eine Rede von Paulus, dem Apostel und Missionar, die er auf dem Areopag gehalten hat. Der Areopag, auch Areshügel genannt, war übrigens ein Platz in Athen, an dem zeitweise der oberste athenische Gerichtshof tagte.
Ob Paulus nun vor einem Gerichtsgremium sprach oder einfach nur die Öffentlichkeit dieses Platzes für seine Missionsrede nutzte, ist ungeklärt. Ich nehme an, dass er diesen Ort wählte, um sich mit seiner Ansprache einem ganz speziellen Publikum zuwenden zu können.
Hier hatte er es vor allem mit den gebildeten Athenern zu tun: den Richtern, den Philosophen, den Akademikern - also denen, die an der Akademie studierten.“
Und deshalb muss Paulus, das weiß er nur zu gut, äußerst geschickt vorgehen, und das gelingt ihm dann auch: Er trifft nämlich in seiner Rede genau den Ton, den diese gebildeten athenischer Männer gewöhnt sind: Intellektuell, definitorisch - für unsere Ohren vielleicht ein bisschen zu sachlich und zu kühl, aber eben genau so, dass die Athener Gebildeten aufmerksam werden.
Hier spricht kein Dummkopf, werden sie gedacht haben, kein Schwätzer von irgend einer Sekte. Dieser Mann hat Format!
Paulus wendete wieder einmal seine Chamäleon-Taktik an:
Er wurde den Juden ein Jude, den Heiden ein Heide - und den Athenern ein waschechter Athener.“
An dieser Stelle erntet Frau Nolting einen kleinen Tritt von ihrem Ehemann, sie weiß, was das bedeutet: Sie soll nicht so weitschweifig reden und nicht so mit ihrem Wissen angeben. Also strafft sie das, was sie noch vortragen will:
„Vielleicht noch ein Wort zur Ausgangslage dieser Athener: Sie glaubten an viele Götter, und für all diese Götter gab es Tempel und Statuen. Fremden und neuen Göttern gegenüber waren diese Männer mehr als skeptisch. Paulus ist schlau: Er hat einen Altar ausfindig gemacht, auf dem geschrieben steht: Dem unbekannten Gott.
Und den nimmt er einfach, um seinen Gott, den Gott Israels und den Gott, der sich als Jesus Christus zu erkennen gegeben hat, bekannt zu machen.
Dabei geht er kein Risiko ein: Den Altar gibt es ja bereits.
Jetzt muss er nur noch für diesen unbekannten Gott Attribute finden, die ihn mächtig machen, so mächtig, dass sich sogar die gebildeten Athener ihm zuwenden.“ -
„Und das schafft er mit Bravour“, schaltet sich Frau Münch in eine kurze Atempause von Frau Nolting ein, „denn er verweist einfach auf die große Schöpferkraft dieses unbekannten Gottes, der alles geschaffen hat, was es gibt: Die Welt, die Erde, die Menschen - einfach alles. Wie sollte ein solcher Gott nicht sehr mächtig, ja, allmächtig sein!“ -
„Irgendwo ist hier doch ein Haken“, fängt Pia auf einmal an zu murren:
„Erstens kann ja jeder einfach behaupten, es gibt einen unbekannten Gott und der ist ganz mächtig. Zweitens - was in Athen vor knapp zweitausend Jahren auf dem Areopag los war - wen interessiert das heute schon? Und drittens: Was hat das Ganze mit mir zu tun?“ -
Da läutet plötzlich die Türglocke: Ding-Dong ... Dong. Das wird Herr Behrens sein.
Frau Münch steht auf, um zu öffnen, die anderen greifen in die Schälchen mit den Oliven, gesalzenen Erdnüssen und den Pistazien.
Frau Münch kommt zurück ins Wohnzimmer, hinter ihr geht Herr Behrens und ein weiterer Mann, der unsicher grinst.
„Hallo, Ihr Lieben - ich bin ein bisschen zu spät“, ruft Herr Behrens beschwingt. „Dafür habe ich Euch aber einen Überraschungsgast mitgebracht: Arno - ein waschechter Heide aus Halle. Ich dachte den könnten wir für unsere Textbesprechung heute Abend gut gebrauchen.“
Beide reichen den Hauskreislern reihum die Hände, Arno stellt sich vor mit: „Guten Abend, mein Name ist Welsch, Arno Welsch.“
Dann nehmen sie beide Platz.
Herr Behrens - ob das alle Pharmareferenten so machen? - steigt ohne langes Zögern in das Gespräch ein, dessen bisherigen Verlauf er doch gar nicht mitbekommen hat. Er sagt: „Also wisst ihr was? Als ich den Text gelesen habe, also die Areopagrede, da dachte ich als erstes:
Unbekannter Gott? Für mich gibt’s keinen unbekannten Gott. Ich kenne Gott, und die meisten anderen Christinnen und Christen tun das auch.
Unser Gott ist kurz gesagt, der, der die Welt geschaffen hat, der das Volk Israel erwählt und begleitet hat, der uns die Zehn Gebote gegeben hat - und der dann schließlich als Jesus Christus vorgelebt hat, wie er sich Leben und menschliches Zusammenleben so vorstellt. Stichwort Nächstenliebe und so.
Unser Gott ist gütig, barmherzig, vergibt uns unsere Schuld, und dennoch ist in vielen, übrigens auch in mir, noch so ein Rest ungutes Gefühl, ob dieser Gott nicht auch einmal zu einem Richter werden könnte, der sogar Strafen verhängt. Wer weiß!
Einen richtig unbekannten Gott gibt’s für mich nicht - und deshalb ist mir dann der Arno eingefallen.
Der hat doch tatsächlich so gut wie überhaupt keine Ahnung, was es mit Gott so auf sich hat. Ich dachte, den könnten wir heute Abend ’mal interviewen.“
Die Hauskreisler rutschen etwas unruhig auf ihren Sesseln herum. Herr Behrens hat zwar unzweifelhaft Schwung in die Runde gebracht, aber so ganz wohl fühlt sich die Gruppe nicht, zumal ein Fremder nun die sonstige Vertrautheit stört.
Herr Nolting gibt sich einen Ruck:
„Das war zwar eine gute Idee, Thomas, aber wie stellst Du Dir das vor?“
„Ei ja: Einfach fragen! Wir stellen Fragen, und Arno antwortet. Kurz, bündig, ehrlich. Wir werden sehen, was dabei ’rauskommt!“
Und das lässt sich Pia nicht zweimal sagen und beginnt:
„Sie kommen aus Halle, also aus der ehemaligen DDR. Haben Sie dort gar nichts von Gott erfahren?“
„So gut wie gar nichts. In der Schule sowieso nicht - und auch in meiner Familie war das an sich kein Gesprächsthema. Jedenfalls kann ich mich nicht daran erinnern.“
„Haben Sie sich denn nie für Gott interessiert?“, will sie weiter wissen.
„Nein, eigentlich nicht. Wir hatten ja auch immer so eine Art Ersatz-Gott: den Staat. Der hat uns genug zu denken gegeben.“
„Glauben Sie überhaupt, dass es so etwas wie Gott überhaupt geben kann?, fragt nun Frau Münch. „Ja“, sagt Arno fest und ohne zu zögern.
Die Hauskreismitglieder sind etwas überrascht.
„Wieso das denn?“, hakt Pia nach.
Jetzt zögert Arno doch einen Augenblick. Dann sagt er:
„Die Religionen, also auch das Christentum, gibt es schon seit tausenden von Jahren. Unendlich viele Menschen haben in diesem Zeitraum an Gott geglaubt. So viele können sich doch einfach nicht irren!“
Die anderen überlegen: Ist das ein stichhaltiges Argument, das die Existenz Gottes beweist?
„Die Psychologie hat herausgefunden“, schaltet sich Herr Sander ein, „dass es in jedem Menschen das Grundbedürfnis gibt, an etwas zu glauben. Dieses Bedürfnis entsteht dadurch, dass der Mensch sich die Welt erklären will. Und dabei kommt er ohne Gott und einen Glauben an ihn kaum aus. Wenn allerdings dieser geglaubte Gott möglichen Überprüfungen nicht standhält, dann wendet sich der Mensch anderen Instanzen zu, mit denen er die Welt und sein Leben zu erklären versucht - z.B. der Natur, dem Schicksal oder auch Gesetzmäßigkeiten, wie Gesellschaftsordnungen, die festzustehen scheinen. Manche Philosophen behaupten, weil es das Bedürfnis nach Gott und einen Gottesglauben gibt, gibt es auch einen Gott. Seine Existenz ist dadurch belegt.“
Pia greift nach einer Olive. Ihr wird’s jetzt doch ein bisschen zu theoretisch. Sie versucht, das Gespräch wieder auf eine etwas griffigeren Ebene zu bringen: „Glauben Sie, Herr Welsch, nun an Gott - oder nicht?“
Arno sieht sie dann, überlegt kurz, dann antwortet er: „Es ist merkwürdig: Ich glaube, dass es Gott gibt, aber an ihn glauben kann ich leider nicht. Vielleicht noch nicht - ich weiß es nicht.“
„Na, genau das ist es doch!“, jubiliert Herr Behrens, „genau das habe ich gemeint. Das ist doch unsere große Chance. Ich habe mir nämlich für heute Abend eine kleine Übung ausgedacht: Jeder und jede von uns hält dem Arno ’mal so eine kleine Areopagrede. In unserem Fall ist es natürlich eine Wohnzimmerrede, aber das macht ja nichts.
Von der Ausgangslage jedenfalls unterscheidet sich unser Heide aus Halle ja kaum von den Athenern. Von unserem christlichen Gott weiß er herzlich wenig, das ist für ihn ein unbekannter Gott. Also: Wer will beginnen?“
Es beginnt eine kurze Debatte darüber, ob eine solche Übung sinnvoll ist.
Einige Mitglieder des Hauskreises fühlen sich ein bisschen überfahren. Dann wird beschlossen, dass jeder und jede ein paar Minuten Bedenkzeit hat, und dann sollen tatsächlich die Kurzreden gehalten werden.
Die Redner und die Rednerinnen sollen dazu jeweils aufstehen.
Alle sind aufgeregt, Pia schwitzt am meisten, aber sie denkt sich: Heute ist hier endlich ’mal was los. Und dann steht Herr Nolting auf und beginnt:
„Lieber Herr Welsch! Ich glaube an Gott, weil ich zu ihm beten kann, wenn ich nicht mehr weiter weiß. Und das erlebe ich in der letzten Zeit öfters - besonders im Zusammenhang mit unserem Sohn. Das ist alles so schwierig im Augenblick. Wenn ich bete, habe ich manchmal den Eindruck einen Ratschlag zu bekommen - und manchmal fühle ich mich einfach nur getröstet. Das ist mein Gott an den ich glaube.“
Er setzt sich - die anderen atmen vernehmbar durch.
Frau Münch ist die nächste. Auch sie steht auf, ihre Knie zittern ein wenig.
„Männer von Athen!“, sagt sie, hält einen Moment inne, und alle müssen erst einmal herzlich lachen. „Ach, ich bin ja schon total durcheinander. Also noch einmal:
Lieber Herr Welsch! Ich bin geschieden, ich bin oft allein und nicht nur das: Ich fühle mich bisweilen ganz schön einsam. Das ist bitter, kann ich Ihnen sagen.
Es wäre zu einfach, wenn ich jetzt behaupten würde, mein Gott, an den ich glaube, würde mir das Gefühl der Einsamkeit vertreiben. Nein, so ist es nicht. Aber wenn ich bete, oder einfach nur nachdenke, habe ich den Eindruck, dass ich durch diesen Gott neue Geduld bekomme. Geduld, mein Leben so auszuhalten, wie es jetzt nun einmal ist. Und dafür bin ich Gott dankbar.“
Arno Welsch ist ergriffen. Aber ihm ist diese Situation, in die ihn sein Kollege Thomas Behrens gebracht hat auch etwas unangenehm, da hier wildfremde Menschen vor ihm ihr Innerstes preisgeben. Dennoch hört er gespannt weiter zu, denn Herr Sander steht gerade auf.
„Ich habe in meinem Berufsleben unzählige Maschinen gebaut. Da waren wirklich perfekte Konstruktionen dabei. Nichts war aber auch nur annähernd so perfekt, wie die Natur und die Menschen. Deshalb nenne ich die Natur Gottes Schöpfung und die Menschen Gottes Geschöpfe. Ich bin froh, ein Geschöpf Gottes zu sein, weil ich mich gerade jetzt im Alter deshalb in den Händen meines Schöpfers geborgen fühle. Auch wenn ich einmal sterben werde, kann ich nicht tiefer fallen als genau in diese Hände. Das ist mein ganzer Trost.“
Frau Nolting ist an der Reihe:
„Ich glaube an Gott, lieber Herr Welsch, weil Gott so bunt und vielfältig ist. Und dass das so ist, kann ich in meinem Leben in vielen Situationen spüren: Wenn Menschen nach einem Streit wieder aufeinander zugehen, wenn Menschen miteinander offen reden, wenn Menschen zusammen weinen - und vor allem auch lachen. Ich habe den Eindruck, dann wird etwas von diesem vielfarbigen Gott spürbar.“
Jetzt wäre eigentlich Herr Behrens an der Reihe - aber zur Überraschung aller redet der sich raus:
„Ich hatte heute so einen anstrengenden Tag, ich bring’ das jetzt einfach nicht mehr. Ich seh’ den Arno ja morgen wieder, dann werde ich’s versuchen.“
„Drückeberger!“, schimpft Pia. Dann erhebt sie sich lässig, reckt überflüssigerweise ihre Glieder, sieht Herrn Welsch an und sagt mit fester Stimme:
„Gott ist die Liebe; und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm. Oder in ihr. Das ist der Gott an den ich glaube. Er ist die Liebe in meinem Leben: Die Liebe, die ich für andere Menschen empfinde, die Liebe, die mir manchmal schwerfällt, die Liebe, mit der ich mich selbst geliebt fühle, selbst wenn keiner mich mehr liebt.
Gott ist die Liebe - die Liebe ist Gott.“
Keiner wagt es zunächst, dem etwas hinzuzufügen - bis Frau Münch schließlich zögernd beginnt: „Vater unser im Himmel, geheiligt werde dein Name ...“
Und spätestens bei der dritten Zeile beten alle mit.
Arno Welsch betet nicht mit. Er kennt zwar einige Bruchstücke dieses Gebets, aber er möchte sich nicht blamieren.
Als am Schluss alle Amen sagen, nickt er zustimmend mit dem Kopf.
Für den Rest des Abends, der gar nicht mehr so groß ist, wendet man sich leichteren Gesprächsthemen zu und es werden auch die letzten Knabbereien verzehrt.
Beim Abschied, als alle schon am Hoftörchen stehen und Frau Münch gerade die Haustüre schließen will, hört sie, wie Arno Welsch sich an Herrn Sander wendet: „Meinen Sie, dass so ein Heide wie ich ab und zu ’mal zu diesem Kreis dazu stoßen könnte?“
Und ehe der antworten kann, sagen alle wie aus einem Mund:
„Jeden ersten Montag im Monat.“
Ob Arno Welsch allerdings jemals von diesem Angebot Gebrauch gemacht hat, weiß ich nicht, liebe Gemeinde. Vorstellen könnte ich es mir allerdings schon.
Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere menschliche Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus.
Wir strecken uns nach dir (EG 625,1+2) Gospelsterne - BR TV Gottesdienst
Lasst uns beten!
Gott,
so ganz leicht ist es für uns mit dir nicht - verzeih, wenn ich das so offen sage.
Du bist uns bekannt und unbekannt zugleich, manchmal ist das schwer auszuhalten.
Wir danken dir für all die wunderbaren Augenblicke, in denen du dich in unserem Leben zu erkennen gegeben hast.
Wie auch immer das bei dem einen oder der anderen geschehen ist.
Und wir bitten dich:
Gib uns Geduld, damit wir damit leben können, dass wir dich nicht beweisen können und dennoch an dich glauben, dass wir dich kennen - und du dennoch oft für uns ein Unbekannter bleibst.
Gott, wir bitten dich heute ganz besonders für all die Menschen, die noch keine Gelegenheit hatten, dir zu begegnen - lass uns versuchen, sie für dich zu begeistern.
Für die Menschen, die die Ungewissheit des Glaubens nicht aushalten können und sich ein entweder ganz von dir abwenden - oder sich ein gar zu konkretes Bild von dir malen, das doch gar nicht stimmen kann.
Lass uns immer wieder neu auf sie zugehen und uns gemeinsam mit ihnen auf den Weg begeben, dich zu suchen.
Auf dich, Gott, vertrauen wir; du bist unser Gott; unser Los liegt in deinen Händen.

In unserem stillen Gebet können wir dir, Gott, all das anvertrauen, was uns auf dem Herzen liegt - und wir können an all die Menschen denken, die deine Hilfe und unsere Unterstützung so nötig haben...

Wir bitten um Gottes Segen!

Der Herr segne uns und behüte uns;
der Herr lasse sein Angesicht leuchten über uns
und sei uns gnädig;
der Herr erhebe sein Angesicht auf uns
und gebe uns Frieden. Amen.
Verleih uns Frieden gnädiglich (Version: Matthias Nagel)